E-Paper kompensieren Print-Verluste nicht Nur vier Titel haben mehr Abonnenten als 2013
Ja, es gibt sie – Titel, die im Print- oder im digitalen Bereich erfolgreich sind und insgesamt mehr Exemplare absetzen als 2014 oder 2013. Aber sie sind an einer Hand abzuzählen. Die meisten Zeitungen verlieren Auflage. Obwohl einige sie mit einem legalen «Trick» künstlich anheben.
Das neue Auflagebulletin der Wemf zeigt: Fast alle Zeitungen verlieren bei der total verbreiteten Auflage) (Print und E-Paper). Besonders grosse Verluste gegenüber Vorjahr weisen vor allem Tessiner Zeitungen und Sonntagsblätter auf: Die Auflage des Giornale del Popolo ist um ganze 13% tiefer als 2014, weil er je 1000 Print- und Replica-Abos verliert. La Regione (-8%) verliert vor allem Print-Abos, die Auflage der SonntagsZeitung sinkt um 10%, jene des Matin Dimanche und der noch jungen Ostschweiz am Sonntag reduzieren sich um je 9%, und die NZZ am Sonntag (NZZaS) weist 7% weniger aus.
Nur vier Zeitungen konnten ihre gesamtverbreitete Auflage steigern, darunter auch zwei Westschweizer Titel: Die werktägliche NZZ legt um 5% zu, Le Courrier um 4%, die Basellandschaftliche Zeitung (bz) – sie ist Teil des Nordwestschweiz-Verbundes der AZ-Medien – wächst um 1% und La Gruyère immerhin um 0.2%.
Bis 18% E-Paper-Anteil
Prozentual am meisten E-Paper konnte der Bund gewinnen: Bei den verbreiteten Replicas (gratis und bezahlt) steigerte er sich um 154% (+224 Exemplare), gefolgt von le Courrier (+114%;, +437 Expl.) und vom Tages-Anzeiger (+110%; +3274 Expl.) zu. Vier Titel – ausschliesslich aus der lateinischen Schweiz – weisen aber selbst im digitalen Bereich eine sinkende «Auflage»: Der Giornale de Popolo verlor gegenüber Vorjahr 66% seiner E-Paper (-854 Exemplare), der Matin Dimanche liegt um 42% (-576 Expl.) tiefer, le Matin semaine um 6% (-45 Expl.) und La Regione um 4% (-97 Expl.).
Den grössten Anteil verbreiteter E-Paper haben Le Temps die NZZ (je 18%), gefolgt von der NZZaS (14%) dem Corriere del Ticino (13% sowie von Le Courrier und La Liberté (je 11%). Die Anteile der andern Zeitungen liegen zwischen 0,3% und 7%.
Doch Vorsicht: Die verbreiteten Replica) und damit auch die total verbreiteten Auflagen zeigen nicht bei allen Titeln dasselbe. Hier herrscht grosse Intransparenz (siehe untenstehender Artikel/encadrée).
Nur zwei Titel haben mehr Abos als 2014
Wesentlicher als die total verbreitete Auflage ist deshalb die total verkaufte Auflage (gedruckt und digital). Hier konnten bloss zwei Titel zulegen: Die NZZ und Le Courrier. Gegenüber 2014 weist die NZZ eine um 6% höhere verkaufte Gesamtauflage aus, beim Courrier wächst diese immerhin um 4%. Beide Titel konnten sich zudem bei den digitalen Abos stärker steigern als bei den Printabos. In Zahlen: Le Courrier gewann im Erhebungszeitraum (Juli 2014 bis Juni 2015) 24 gedruckte und 437 digitale Abos, also 18mal mehr digitale, die NZZ holte 2844 neue digitale Abos, doppelt so viele wie gedruckte.
Etwas anders sieht es aus, wenn man die aktuellen Auflagen mit jenen von 2013 vergleicht. In dieser Zeitspanne verlor die NZZ 5054 bezahlte Printabos, gewann aber 5918 digitale dazu, sie konnte also die Verluste bei den Printabos mit Replica-Abos mehr als kompensieren. Ähnlich Le Courrier: Den seit 2013 verlorenen 248 Printabos stehen 484 digitale Neuabonnenten gegenüber, ein Plus von 236.
Keine Kompensation, aber ein Abo-Wachstum bei Print und Replica kann die Basellandschaftliche Zeitung verbuchen: Gegenüber 2013 weist sie ein Plus von insgesamt 668 Abos aus. Das Blatt profitiert davon, dass weiterhin viele Personen der Basler Zeitung – sie ist im Besitz von SVP-Politiker Christoph Blocher ist – den Rücken kehren. Ebenfalls eine positive Zweijahresbilanz kann Le Matin Dimanche ziehen: Er hat 328 mehr Printabos und 223 mehr E-Paper-Abos als noch 2013, dies obwohl er gegenüber 2014 einige Replica-Abos verloren hat.
Kompensation in weiter Ferne
Alle anderen Zeitungen konnten ihre Printverluste seit 2013 nicht kompensieren (siehe Grafik). Am härtesten traf es wohl die Ostschweiz am Sonntag, die erst seit März 2013 besteht: Sie verlor in den ersten zwei Jahren ihrer Existenz bereits 29000 Printabos und konnte bloss 927 digitale Abonnenten gewinnen – ein Verhältnis von 31:1. Ebenso schlecht steht es um die Basler Zeitung. Sogar noch weiter von einer Kompensation entfernt sind die Berner Zeitung (36:1) und die Freiburger Nachrichten (33:1). Interessant: Titel, die erst kürzlich eine Paywall eingeführt haben, schneiden gar nicht so schlecht ab: Bei Le Matin semaine steht das Verhältnis 9:1, bei 24 Heures 7:1, beim Tages-Anzeiger 5:1 und bei der Tribune de Genève 3:1. Ringiers Le Temps, die Schweizer Zeitung mit der längsten Paywall-Tradition, kommt sogar auf ein Verhältnis von nur 2:1 – ihre Printverluste seit 2013 sind also «bloss» doppelt so hoch wie die Gewinne bei den Replica-Abos. In der Westschweiz das schlechteste Verhältnis zwischen Printabo-Verlusten und E-Paper-Gewinnen weist zur Zeit Le Quotidien jurassien mit 20:1 auf, gefolgt vom Journal du Jura (10:1).
Völlig intransparent: Die total verbreitete Auflage (total tirage diffusé)
Das seit 2012 geltende Wemf-Auflagereglement erlaubt es, bestimmte Abo-Exemplare doppelt zu zählen. Konkret: Wenn ein Titel seinen zahlenden Print-Abonnenten auch gratis Zugang zum Replica (E-Paper) anbietet, so kann er diese Replica-Exemplare (beziehungsweise deren Downloads) der Gratis-Replica-Auflage anrechnen – vorausgesetzt er erbringt den technischen Nachweis, dass der Zugriff auf das E-Paper regelmässig erfolgt. Der Titel kann also dasselbe Abo zweimal ausweisen – einmal als bezahltes Printabo und einmal als Gratis-Replica, dies obwohl es den Verlagen weder zusätzliche Aboeinnahmen noch zusätzliche Leser bringt.
Bei der Wemf begründet man diese Doppelzählung mit den Interessen der Werbewirtschaft. «Gezählt werden alle Exemplare, die effektiv ausgeliefert werden, egal ob in gedruckter oder digitaler Form», sagt Roland Achermann, bei der Wemf zuständig für die Auflagenbeglaubigung.
Die Sache ist aber nicht unproblematisch, denn die doppelt gezählten Abos erhöhen nicht nur die Zahl der Gratis-Replica sie wirken sich auch auf die Zahl der verbreiteten Replicas und auf die total verbreitete Auflage aus – und zwar keineswegs marginal. Eine Cominmag-Umfrage unter den Verlagen zeigt: Manche Titel können mit der Doppelzählung einiger Abos ihre total verbreitete Auflage um bis zu 9% anheben und damit die Rangliste zu ihren Gunsten verändern.
Äpfel und Birnen vergleichen
Zudem schafft die Doppelzählung auch Ungleichheit und Intransparenz: Aus technischen Gründen können (noch) nicht alle Verlage den geforderten Nachweis erbringen und folglich auch ihre total verbreitete Auflage nicht mit doppeltgezählten Abos anheben. Wieder andere verzichten auf diese Art, die eigene Auflage zu schönen. Hinzu kommt: Den von der Wemf ausgewiesenen Zahlen sieht man zudem nicht an, welcher Titel einen Teil seiner Abos doppelt zählt und welcher nicht. Das benachteiligt jene Titel, die darauf verzichten. Denn wer die total verbreitete Auflage oder die verbreiteten Replica zweier Titel vergleicht, vergleicht deshalb mitunter Äpfel mit Birnen, ohne es zu erkennen. Das macht die an sich stringentere Auflagebeglaubigung zur Farce.
Die Cominmag-Umfrage ergab: Blick und SonntagsBlick bieten gar keine E-Paper an, und Freiburger Nachrichten, Le Courrier und Le Nouvelliste haben keine Gratis-Replica. Bei all diesen Titeln wird also nichts doppelt gezählt.
Die Abo-Zeitungen von Tamedia, AZ Medien und Gassmann sowie die Basler Zeitung und der Zürcher Oberländer weisen zwar Gratis-Replica aus, doch nach eigenen Angaben nur solche, die nicht an bezahlte Printabos gekoppelt sind. Sie verzichten also auf eine Doppelzählung.
Anders Neue Luzerner Zeitung, Zentralschweiz am Sonntag, La Liberté und Le Quotidien Jurassien: Bei ihnen sind alle ausgewiesenen Gratis-Replica an bezahlte Printabos gekoppelt, sie sind also mitgezählt und erhöhen die total verbreitete Auflage je nach Titel um 2% bis 9%. Mit der Folge, das etwa La Liberté grösser erscheint als Le Nouvelliste, dabei ist es umgekehrt (siehe Tabelle). Bei Le Temps, Walliser Bote und Schaffhauser Nachrichten ist zumindest ein Teil der ausgewiesenen Gratis-Replica an Printabos gekoppelt (Le Temps: 91%, WB: 26%, SN: 89%) und eingerechnet. NZZ und Südostschweiz wollten ihre Zählart explizit nicht offenlegen. Und Hersant, St. Galler Tagblatt, La Gruyère sowie die Tessiner Verlage antworteten gar nicht. [/ASIDE]